Mittwoch, Oktober 19, 2005

babyshambles - down in albion


obwohl seit pete doherty's rauswurf bei den libertines nur ein gutes jahr vergangen ist, scheint es einem ein langer weg bis zum jetzt vorliegenden babyshambles debut-album gewesen zu sein. doch hoert man dann 'down in albion', gewinnt man schnell den eindruck, dass ohne pete's weg von drogensumpf ueber gefaengnisaufenthalt bis zur supermodel-affaere dieses album so nicht moeglich gewesen waere. das gilt sowohl fuer den auf unzaehligen im internet kursierenden mp3s dokumentierten musikalischen reifungsprozess der band, wie auch fuer die emotionale und lyrische tiefe der platte. doherty's romantisierung eines boheme-lifestyles, sein leben zwischen tiefsten tiefen und hoechsten hoehen - paradoxer weise scheint sich all das auf der kuenstlerischen ebene ausgezahlt zu haben. einige der songs auf 'down in albion', wie etwa 'killamangiro', 'back from the dead' oder 'merry go round', haette man sich zwar noch etwas ueberzeugender gewuenscht, waehrend andere titel, zum beispiel '32nd of december', 'pipedown' oder 'albion', einfach grossartig geworden sind. die inhaltliche dreiteilung der platte sorgt für einen stimmungsbogen, der vom eingaengigen anfang ueber den entfesselten mittelteil bis zu den sanfteren schlusstiteln reicht. vor allem ist es aber die kuenstlerische vision, die 'down in albion' zu einem album mit potenziellem klassiker-status macht. schraege toene und tighte rocknummern, schreiende dissonanzen und zaertliche melodien, punk-aesthetik und akustikgitarren - zwischen diesen polen entfaltet sich eine musikwelt mit sogwirkung. macht das 'down in albion' nun zum 2005er aequivalent von oasis' britpop-meilenstein 'definitely maybe'? wohl eher nicht, denn vom retro-new-wave-sound der aktuellen britrock-welle sind babyshambles zu weit entfernt, um allgemeiner konsens zu werden. aber wer sich auf 'down in albion' einlaesst, wird mit sicherheit ein faszinierendes album mit langzeitwirkung entdecken.

Montag, Oktober 10, 2005

zadie smith - on beauty


vielleicht liegt es an der zeitlichen naehe des erscheinungsdatums von 'the miseducation of lauryn hill' und 'white teeth', auf jeden fall sind fuer mich zadie smith und die ex-fugees-saengerin irgendwie verbunden. beide erstlingswerke waren ausserordentliche kuenstlerische leistungen, die einen offenen geist fuer die gesamte bandbreite aktueller trends mit einem verfeinerten traditionsbewusstein zu verbinden wussten. mit dem nachfolger taten sich dann beide schwer: lauryn wandte sich auf ihrem unplugged-album spröden akustiksongs zu und zadie smith lieferte mit 'the autograph man' einen zwar interessanten, aber auch mindestens genauso sperrigen roman ab. waehrend mrs. hill nach langen jahren in der versenkung mit der anstehenden fugees-reunion bald wieder ins rampenlicht treten wird, hat zadie smith nach einem lehrjahr an der us-universitaet wellington mit 'on beauty' nun ihr drittes buch vorgelegt. das problem des romans liegt bereits in seiner grundanlage: als homage an e.m. forster intendiert, folgt 'on beauty' zum grossen teil den handlungslinien von 'howard's end' - was, um noch einmal den musikvergleich zu bemuehen, so schluessig ist, wie etwa ein lauryn-hill-album voller bob dylan song-covers. und wie bei jeder cover-version, muss auch bei 'on beauty' die frage nach der berechtigung der neufassung gestellt werden. wie in 'howard's end' stehen auch bei zadie smith zwei familien im zentrum des geschehens, die des linksliberalen kunsthistorikers howard (sic!) belsey und die seines (neo)konservativen akademischen kontrahenten monty kipps. als kipps eine gastprofessur an belsey's universitaet (wellington, welch zufall!) annimt, kommt es in der folge zwischen den beiden familien zu verschiedenen begegnungen in diversen konstellationen, an deren ende nicht nur der haussegen der liberalen belseys schief haengt, sondern auch die perfekte fassade der konservativen kipps demaskiert wird. die romanhandlung, die unter anderem einen englischen professor an einer us-universitaet, seine afro-amerikanische frau, deren heranwachsende kinder, haitianische hausangestellte und eastcoast-rapper vereint, nuetzt die moeglichkeit, eine fuelle von themen zu behandeln - von klassen- und rassengegensaetzen ueber geschlechter- und beziehungsfragen bis zu hochschul- und popkultur. die absicht der autorin scheint auf der hand zu liegen: 'on beauty' bietet zadie smith nicht nur die gelegenheit, nach ihrem lehrjahr ein stueck wohlwollende distanz zum uni-betrieb von wellington zu schaffen, sondern sich auch mit ihrem eigenen lebensentwurf als liberale schriftstellerin auseinander zu setzen und ihr verhaeltnis zur realen welt des jahres 2005 zu klaeren. dank ihres schriftstellerischen koennens entsteht dabei ein angenehm zeitgemaesser, gut lesbarer roman mit einem sicheren gespuer fuer die beschriebenen milieus und sympathisch gezeichneten protagonisten. nur fesselnd ist 'on beauty' leider nicht, dafuer atmet das buch zu wenig und bleibt zu sehr im korsett der romanhandlung von 'howard's end' gefangen. als schriftstellerin ist zadie smith merklich gereift, jetzt muss sie nur noch den erzaehlerischen esprit von 'white teeth' zurueck gewinnen. und lauryn hill? naja, schauen wir mal, ob das mit der fugees-reunion die bessere idee war ...

Mittwoch, Oktober 05, 2005

franz ferdinand - you could have it so much better


aus der retrospektive ist alles sonnenklar: die beatles waren hundert mal besser als die stones. aber wenn man nun in den 60er jahren leben wuerde? wen wuerde man dann besser finden? die braven beatles, die mit ihren cleveren songs die lieblingskinder aller musikkritiker sind? oder die stones, deren songs zwar alle irgendwie gleich klingen, die dafuer aber so richtig schoen laut, gefaehrlich und provozierend sind? so in etwa schaut schon einmal teil eins meines problems mit franz ferdinand aus: als art-school-absolventen mit sauberem haarschnitt und einem ueberall von sz-feuilleton bis uni-spiegel als superintelligent hochgelobten sound sind mir die franzens grundsaetzlich suspekt. stoerfaktor nummer zwei ist fuer mich der ueberdimensionale erfolg der schotten. denn im wesentlichen ist es ja so, wie der nme schon mitte letzten jahres geschrieben hat: 'it was the libertines who first rode to the rescue of british music in 2002, but it's franz ferdinand who've sold the most records.' und nun gibt es also das zweite album von franz ferdinand. meine grundeinstellung war somit schon mal eher negativ - und tatsaechlich: meine platte des jahres 2005 wird 'you could have it so much better' wohl nicht. doch schlecht ist das album andererseits auch nicht, genaugenommen sogar so gut, dass es dumm waere, die band nur aus prinzip nicht zu moegen. 'you could have it so much better' ist pop, und zwar in grossbuchstaben. der sparsame lo-fi-charakter des debutalbums ist geschichte, jetzt heisst es klotzen statt kleckern. das mag zwar etwas auf kosten der atmosphaere gehen, dafuer wimmelt es bei franz ferdinand nun aber geradezu vor stilvielfalt, musikzitaten und soundtechnischen feinheiten. das format des leicht glamouroesen, dancefloor-tauglichen indie-knallers haben die jungs aus glasgow inzwischen perfektioniert. wobei ich songs wie 'do you want to', 'well that was easy' oder 'outsiders' auf dauer etwas penetrant finde. so ein bisschen abba meets indie disco. es sind eher die neuen elemente, die auf 'you could have it so much better' fuer die bleibenderen eindruecke sorgen. zum beispiel tracks wie 'the fallen', 'evil and a heathen' oder 'what you meant'. hier wird deutlich, dass franz ferdinand nicht nur die ganze brit-welle beeinflusst haben, sondern sich auch ihrerseits wieder von bands wie kaiser chiefs oder the rakes zu neuen anstrengungen haben motivieren lassen. und dann gibt es da noch die balladen 'walk away', 'eleanor put your boots on' und 'fade together', fuer mich musikalisch wie textlich die highlights des albums. hier finden die schotten zu einer echten eigenen musiksprache und deuten an, was in ihnen noch so alles stecken koennte. was bleibt einem da anderes uebrig, als zu konstatieren, dass hier ein wirklich gutes zweites album abgeliefert wurde? man koennte noch mutmassen, dass es vielleicht franz ferdinand sein werden, die nach dem abklingen des aktuellen britrock-booms fuer diese generation von bands einmal die stellung einnehmen werden, wie sie oasis heute im hinblick auf die britpop-welle der 90er haben.

Montag, Oktober 03, 2005

konzert - hard-fi


eigentlich koennte diese szene in jeder vorstadt-oednis passieren, egal ob staines, trudering oder kleinhadern: man traeumt davon, einmal im leben hauptattraktion zu sein, aber mehr als vor einer ueberwachungskamera zu posen, ist nicht drin. doch dann tut man sich mit ein paar nerds aus der schule zusammen, nimmt mit ihnen am pc ein demotape auf, findet eine plattenfirma und auf einmal ist man wirklich selbst da oben, steht auf der buehne des muenchner ampere und begint eine ausgedehnte tour, die einen in den naechsten monaten bis nach japan fuehren wird. und dann? einfach die show, die man schon tausend mal vorm spiegel einstudiert hat, nun vor ein paar leuten mehr abziehen? zunaechst schaut es so aus, als ob hard-fi und saenger richard archer dieses problem nicht unvertraut ist, noch fehlt der show der rechte flow (sic!) und auch soundtechnisch stimmt noch nicht alles. doch nach ein paar songs haben sich hard-fi zum glueck davon freigespielt. und ab dann heisst es party im ampere. richard archer beherrscht jetzt die gesten, die rock'n'roll ausmachen und er hat ausgezeichnete songs, die erst live ihre volle wucht entfalten: etwa ein grossartig rockendes 'tied up too tight', das daft-punk-meets-the-clash-artige 'living for the weekend' oder ein zum 6-minuetigen dub-punk-monster mutierendes cover des white-stripes-hits 'seven nation army'. hard-fi machen rock fuers herz, vergessen aber auch nicht den groove fuer die beine. die jungs koennen es also wirklich, und auch wenn sie am schluss des abends darueber singen - vor ueberwachungskameras den star mimen, brauchen sie nicht mehr.

Sonntag, Oktober 02, 2005

film - broken flowers


betrachtet man den vorspann zu 'broken flowers', glaubt man es kaum: bill murray, sharon stone, tilda swinton, jessica lange und chloe sevigny - jim jarmusch's neuer film vereint mehr grosse namen als das gesamte bisherige werk des eigenwilligen amerikanischen regisseurs. aber kaum beginnt die filmhandlung, ist man wieder im typischen jarmusch-universum voller wortkarger, kauziger typen und verlangsamter handlungsablaeufe. dieses mal geht es um einen gewissen don johnston. einst massiv erfolgreich in sachen computer und frauen und jetzt in einer sackgasse des lebens gelandet, erreicht ihn eines tages ein anonymer brief, der ihn informiert, vater eines inzwischen 19jaehrigen sohnes zu sein. auf draengen von nachbar und hobby-sherlock-holmes winston macht sich don schliesslich zu einer reise zu den in frage kommenden absenderinnen des briefes auf. es erwarten ihn einige skurrile und gelegentlich sogar schmerzhafte begegnungen mit der vergangenheit, die zwar nicht helfen, das geheimnis des briefes zu loesen, don aber immerhin eine neue lebensphilosophie bescheren: 'the past is gone and the future isn't here yet. so, all we have is this, the present.' bemerkenswert in diesem film ist wieder einmal bill murray, wie schon in seinen letzten streifen 'lost in translation' und 'the life aquatic' verkoerpert er mit seinem stoischen spiel ueberzeugend die melancholie des alterns. eine intelligent komponierte handlung und eine stimmungsvolle bildsprache vervollstaendigen den gesamteindruck eines aussergewoehnlichen films. und schliesslich gibt es in 'broken flowers' auch noch in sachen musik einiges zu entdecken. waere ich es nicht schon, wuerde ich spaetestens durch den filmscore zu einem fan des aethiopischen jazz-funks von mulatu astatke. neu fuer mich war auf jeden fall der titelsong des streifens, 'there is an end' von den greenhornes mit gastsaengerin holly golightly, zwei namen, die man sich merken sollte.

film - no direction home


bob dylan laesst sich nicht lumpen: geht er auf konzertreise, so handelt es sich um eine 'neverending tour' (laeuft mittlerweile seit ende der 80er), schreibt er seine memoiren, muessen es schon gleich die auf mehrere baende angelegten 'chronicles' sein. auch in sachen visuelle medien bleibt er den selbstgesetzten massstaeben treu. als dylan nach langen jahren nun erstmals wieder ein interview vor der kamera gab, wurde schliesslich daraus eine dreieinhalbstuendige musik-dokumentation unter der regie von martin scorsese. 'no direction home' widmet sich den fuenf entscheidenden jahren in der karriere des jungen musikers: 1961 kommt dylan als junger folksaenger von minnesota nach new york, wo er sich in den clubs des greenwich village den ersten plattenvertrag erspielt. auf seiner 1962 erschienenen debut-lp gibt es noch lediglich zwei eigene stuecke zu hoeren, bald darauf stellt er sich mit songklassikern wie 'the times they are a-changin', 'hard rain' oder 'blowin in the wind' an die spitze des songwriter-genres. aber dylan will sich nicht auf die rolle als gutes gewissen seiner generation festlegen lassen und wagt sich lyrisch und musikalisch auf neues gebiet vor. mit dem surrealistischen folkrock der 1965er lp 'highway 61 revisited' stoesst er zwar alte fans vor den kopf, legt damit aber das fundament fuer rockmusik als kunstform. 'no direction home' erzaehlt diese unglaublich rasche entwicklung auf faszinierende weise: scorsese mischt virtuos exzellent aufgefrischtes original-material mit interessanten stellungnahmen von sowohl dylan selbst wie auch jeder menge relevanter zeitgenossen von pete seeger, allen ginsberg bis zu joan baez und al kooper. vor allem die live-aufnahmen von der kontroversen 1966er england-tour zusammen mit the band hinterlassen einen bleibenden eindruck. schmaechtig und blass, aber hellwach, steht da ein junger dylan auf der buehne und entdeckt nicht nur fuer sich, sondern fuer die gesamte popmusik neue ausdrucksformen und wirkt dabei so gierig nach leben wie auch angriffslustig. schade, dass es heute weder neue kuenstler dieses formats noch echte moeglichkeiten, sich zu solchen zu entwickeln, gibt.